Jörg

Nur ein Jahr nach dem Start der Piccolo-Reihe Sigurd startete Walter Lehning 1954 mit einer zweiten Wäscherserie namens Jörg. Um sich von der Konkurrenz abzugrenzen, experimentierte Lehning mit Formaten, Inhalten und verschiedenen Autoren. So wurde auch das Kolibri-Format entwickelt: 9 x 13,5 cm, schwarzweiß und 36 Seiten. Das Kleinformat lässt nicht viel Raum für künstlerische Gestaltung. Hansrudi Wäscher entwickelte eine Seitenarchitektur von zwei Bildern pro Seite, um aber dynamischer erzählen zu können, trennt er die Bilder bald darauf mit einem diagonalen Steg. Von September 1954 bis Februar 1955 erschienen im wöchentlichen Rhythmus 20 Hefte von Jörg.

joerg_font

Die Geschichten spielen mitten im Dreißigjährigen Krieg. 1633 wird Jörg Zeuge, wie sein Vater den Gräueltaten schwedischer Soldaten zum Opfer fällt. Zusammen mit seiner Gefährtin Lena macht er sich auf die Suche nach seiner vertriebenen Mutter. In den Kriegswirren sind Jörg und Lena Mord, Verwüstung und Plünderei ausgesetzt, doch sie halten auf Gedeih und Verderb zusammen. So löst Jörg in Luckau/Brandenburg einen Tumult aus, um seinen Ersatzvater vor dem Erhängen zu retten, und verhilft damit den kaiserlichen Truppen zum Sieg über die schwedischen Besatzer. Jörgs militärischer Karriere an der Seite des Oberbefehlshabers Waldstein – so der eigentliche Name von General Wallenstein – steht damit nichts mehr im Wege. Als sein treuer Gefährte begleitet er ihn bis zu seiner Ermordung im Februar 1634.

In den anschließenden Jörg-Heften macht sich der Wechsel der Mitautoren bemerkbar. Wäscher trennte sich von Gerhard Adler und tat sich mit Rasmus Jagelitz zusammen. Die anfangs noch ungelenk wirkende Story gerät aber bald wieder in Fahrt und schlussendlich reitet der inzwischen zum Hauptmann ernannte Jörg nach erfüllter Mission mit einem „Lebt wohl, Freunde!“ aus dem Schlussbild.

Obwohl Wäscher die Wirren des Dreißigjährigen Krieges sehr realistisch einfängt, verschaffte der historische Hintergrund Jörg vor der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften eine überdurchschnittliche Lebensdauer. Dennoch wurden im Januar 1955 die Ausgaben 9 und 10 indiziert. Im Februar 1955 nahm Lehning Jörg vorsichtshalber vom Markt und erteilte Wäscher den Auftrag, eine weniger blutrünstige Geschichte zu schreiben.

Im Gegensatz zu Sigurd hatte Wäscher für Jörg umfangreiche Recherchen vorgenommen. So versuchte er Kostüme oder Häuser historisch korrekt darzustellen. Allerdings werden dabei die Gräueltaten des habgierigen Fürsten Waldstein ausgeblendet. Das ist wahrscheinlich der einseitigen Darstellung durch die Geschichtsbücher der Fünfzigerjahre geschuldet, auf die Wäscher und seine Mitautoren angewiesen waren. Die heroische Darstellung diente aber gleichzeitig auch der besseren Vermarktbarkeit der Comicserie.

Eine Geschichte vor dem Hintergrund deutscher Historie zu erzählen, ist für den frühen Zeitpunkt des Entstehens mehr als ungewöhnlich. Aber da sich Wäscher in der Folge ganz auf Abenteuergenres konzentrierte, nimmt Jörg in seinem umfangreichen Werk auch eine Sonderstellung ein. Ein Sammlernachdruck wurde 1979 und nochmals 1995 von Norbert Hethke veröffentlicht.