Fenrir

Hansrudi Wäscher orientiert sich bei Fenrir ebenso wie bei seinem ersten Held Sigurd an der nordischen Mythologie. Anders als bei Sigurd leiden Fenrir und seine Zeitgenossen an ihrer Unwissenheit und den repressiven Gesetzen der Götter. Seine Frage nach dem „Warum“ wird mit dem Ausschluss aus der Gemeinschaft honoriert. In einer Welt aus skurril inszenierten Wäldern mit Riesenpilzen, unberechenbaren Fantasiewesen und machtgierigen Stammesfürsten begibt Fenrir sich mit dem Schwert seines Vaters auf die Suche nach Gerechtigkeit. Nicht zufällig machen ihm vor allem menschliche Intrigen und Unzulänglichkeiten zu schaffen. So büßt er auf der Flucht Vorsprung ein, um das in Bedrängnis geratene Skul-Volk zu befreien, was ihm nur Unverständnis einbringt. Fenrirs Selbstlosigkeit führt ihn in eine vollkommene Unterwelt, in die sich ein Teil der Menschheit 8.423 Jahre nach dem letzten Atomkrieg zurückgezogen hat. In einer kuriosen Überhypnose wird alles Wissen der Menschheit auf ihn übertragen. Zusammen mit seiner großen Liebe, der schönen Ava im Fellbikini, versucht er in klassischer Cliffhanger-Manier über drei Zyklen vergeblich die unterdrückte Oberwelt zu befreien.

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Die Wandlung der Unterhaltungskultur schlug sich Anfang der Achtzigerjahre nachhaltig auf die Absatzzahlen klassischer Comics nieder. Um Kosten zu sparen, legte Bastei alte Wäscher-Geschichten der Serie Buffalo Bill unter fortlaufender Heftnummerierung und neuem Titel wieder auf. Hansrudi Wäscher schrieb für den Verlag noch 49 Folgen für die Reihe Gespenstergeschichten und bewarb sich gleichzeitig mit einer neuen Serie, Fenrir, die allerdings abgelehnt wurde. Durch den Kontakt mit Norbert Hethke ergaben sich für Wäscher jedoch neue Perspektiven. Hethke übernahm 1982 die bei Bastei verworfene Serie Fenrir in leicht überarbeiteter Form exklusiv für seine Sammlerzeitschrift Die Sprechblase. Von Nr. 43 bis 65 (1984) erschien Fenrir als Fortsetzung unter dem Titel „Gnadenlose Jagd“ in Schwarz-Weiß und in Farbe. Ab 1989 folgte die zweite Fortsetzungsreihe in Die Sprechblase Nr. 98, 100, 101, 102, 104, 105 und 107 und die dritte in Nr. 133 bis 138 (1994). Alle drei Fenrir-Reihen wurden von Norbert Hethke ab 1988 mit teilweise nochmals überarbeitetem Artwork als Sammelalben neu aufgelegt. Das letzte Album erschien 2001.

Norbert Hethkes Begeisterung für nostalgische Comics verschiedenster Genres, gepaart mit seinem unternehmerischen Weitblick, sicherte Wäschers Helden das Überleben. Nur indem die neu entstandene Zielgruppe der leidenschaftlichen Sammler bedient wurde, konnte Wäscher neu aufgelegt werden und er seine Fantasyfigur Fenrir entwickeln. Fenrir, das ist programmatische Selbstlosigkeit und der tiefe Glaube an das Gute im Menschen. Die Hommage an den Struwwelpeter am Ende der ersten Serie als Überbleibsel einer längst vergangenen amoralischen Kulturepoche ist sicher kein Zufall.