Sigurd, Hansrudi Wäschers ritterlicher Held, wird 60

Winzig ist das Heft, das zum ersten Mal im Oktober 1953 an den Zeitungskiosken ausliegt. Gerade 17 mal knapp 8 Zentimeter misst sein leuchtend buntes Titelbild, doch schon das reicht, um aufzufallen im tristen Nachkriegsgrau. „Sigurd“ heißt die neue Bilderserie – das Wort „Comic“ ist damals noch unbekannt –, die der Walter Lehning Verlag in Hannover künftig jede Woche neu herausbringt. Und mit der in Deutschland eine Jugendkultur beginnt, die eine ganze Nachkriegsgeneration prägen wird. Comics sind nun (auch „cool“ gibt es ja noch nicht:) knorke!

„Piccolos“ werden die schmalen Streifenhefte genannt. Sie sind billig schwarz-weiß gedruckt und schnell verschlungen, kosten aber auch nur 20 Pfennig. So kann man selbst bei kleinem Taschengeld dabei sein. Schon bald werden Sigurds Erlebnisse ebenso lebhaft vor der Schule diskutiert wie in zehn Jahre einmal die Durbridge-„Straßenfeger“. Eltern und Lehrer jedoch sind irritiert und rufen entsetzt zu öffentlichen Verbrennungen der „Schundliteratur“ auf.

Ausgedacht hat sich die Saga um den blonden Recken nach dem Vorbild des germanischen Drachentöters aus dem Mittelalter Hansrudi Wäscher. 1928 in St. Gallen geboren, kommt er schon als Kind in der Schweiz mit italienischen Comic-Heften in Kontakt und will selbst Zeichner werden. 1953, der Krieg ist vorbei und inzwischen lebt er in Hannover, ist es endlich soweit. Sein „Sigurd“ ist so erfolgreich, dass Wäscher für Lehning weitere Serien entwirft und an seinem Zeichenbrett bald jede Woche bis zu 50 Comic-Seiten entstehen.

Das übertrifft selbst das Arbeitspensum japanischer Mangaka, die diesbezüglich als Rekordhalter gelten. Grafisch kann sich Wäschers gezeichneter Ritterroman somit nicht mit den großen Klassikern wie „Prinz Eisenherz“ messen (Hal Foster fertigte pro Woche eine Seite an), doch mit dicht gestrickten und verschlungen erzählten Heldenstücken, die sich auch schon mal über zwei Jahre erstrecken können, hält Wäscher sein jugendliches Publikum in Atem: Auf 32 durchhechelte Seiten folgt jeweils qualvolles Warten, bis es nach einer Woche endlich weitergeht – bis zum nächsten „Versäumt nicht die spannende Fortsetzung …“ Den Namen des Schöpfers von Sigurds Abenteuern erfahren die Leser jedoch erst Mitte der Siebziger.

Da ist der Lehning Verlag bereits verschwunden. 1968 bricht eine neue Zeit an, alte Erfolgsrezepte haben sich überlebt und der Verlag muss Konkurs anmelden. Hansrudi Wäschers „Sigurd“ aber gerät damit nicht in Vergessenheit. Bald erscheinen Nachdrucke der auf Flohmärkten gesuchten Lehning-Hefte für Sammler, und schließlich beginnt Wäscher, neue Abenteuer für seine Fans von einst zu zeichnen. Als er sich 2002, inzwischen 74, weitgehend zurückzieht, wird „Sigurd“ von anderen Zeichnern übernommen – und erscheint nach wie vor.

2008 wird Hansrudi Wäscher auf dem Internationalen Comic-Salon in Erlangen der Max-und-Moritz-Preis verliehen. Er lebt heute im Breisgau. Im Hamburger Verlag Comics etc. liegt die Biografie „Allmächtiger! Hansrudi Wäscher, Pionier der deutschen Comics“ von Andreas C. Knigge vor. Pünktlich zu Sigurds Geburtstag erscheint bei Comics etc. zudem der fast 200-seitige Jubiläumsband „60 Jahre Sigurd“ mit dem kompletten Nachdruck der Story „Kampf dem Schwarzen Schinder“ aus dem Jahre 1963 – zusammen mit der 1976 produzierten und heute gesuchten WEA-Hörspielfassung des klassischen Abenteuers.